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Geburten hinterlassen Spuren
Katharina Rebay-Salisbury

Nach der Geburt ist keine Frau wie vorher. Dass Schwangerschaften und Geburten auch Spuren in der Zahn- und Skelettsubstanz hinterlassen können, ist bis jetzt jedoch noch wenig erforscht. Doch auch nach mehreren tausend Jahren im Boden geben Skelette durch sorgfältige anthropologischen Untersuchungen ihre Geheimnisse preis: Sterbealter, Geschlecht, Gesundheitszustand und Hinweise auf Krankheiten, Abnutzungserscheinungen durch Altern und besondere Belastungen zählen zu den Daten, die wertvolle Hinweise auf die Lebensbedingungen in der Urgeschichte geben können. Im Rahmen eines am Institut für Orientalische und Europäische Archäologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften angesiedelten Projektes wird der Zusammenhang zwischen besonderen Belastungen durch Schwangerschaften und Geburten mit dem sozialen Status der bestatteten Frauen in der Urgeschichte hergestellt.

Es ist vielleicht wenig bekannt, dass nicht nur Bäume, sondern auch menschliche Körper ringförmige Strukturen aufweisen, die durch periodisches Wachstum entstehen. Im Zahnzement, dem Bestandteil des Zahnes, der dem Dentin im Zahnwurzelbereich aufliegt, werden jährlich Ringe aus Mineralien, organischen Bestandteilen und Wasser angelegt. Pro Jahr kommt je ein dunkler und heller Ring hinzu, die sich in Struktur und Mineralisierungsgrad unterscheiden. Dünnschliffe von Schnitten durch die Zahnwurzel können unter dem Mikroskop ausgewertet werden. Das genaue Sterbealter einer Person wird bestimmt, indem die Ringe gezählt und zum durchschnittlichen Durchbruchsalter des analysierten Zahnes hinzugerechnet werden. Da die Anlage der dunklen und hellen Ringe an die Jahreszeit gebunden ist, kann unter Umständen sogar eingegrenzt werden, ob die betreffende Person im Sommer oder Winter verstarb. Das Sterbealter bestatteter Personen in der Urgeschichte zu ermitteln, ist aus vielen Gründen interessant: So können Gesellschaftsstrukturen rekonstruiert werden, Lebensabschnitte und -übergänge mit Grabbeigaben in Kontext gesetzt werden, oder Altersabstände zwischen gemeinsam bestatteten Individuen analysiert werden. Zusätzlich können untypische Ausprägungen der Linien im Zahnzement Hinweise auf Lebensereignisse liefern: Schwangerschaften etwa beeinflussen den Kalziumhaushalt des Körpers deutlich, und auch Knochenbrüche oder bestimmte Krankheiten lassen sich durch die Methode der Zahnzementanalyse mit dem Lebensalter verbinden, in dem sie auftraten.

Das Becken ist der Bereich des menschlichen Körpers, in dem sich Männer und Frauen anatomisch am deutlichsten unterscheiden. Schließlich ist das weibliche Becken ein evolutionärer Kompromiss zweier unterschiedlicher Interessen: Zum einen muss der komplexe Beckengürtel nicht nur die Beweglichkeit für die Fortbewegung herstellen, sondern seit der Entwicklung des aufrechten Gangs mit einem erheblichen Zusatzgewicht zurechtkommen, zum anderen muss durch den Beckengang ein kindlicher Schädel geboren werden, der bereits ein möglichst großes und reifes Gehirn haben soll. Die Knochen des Beckens sind durch Bänder miteinander verbunden und Sehnen verbinden das Becken mit Muskeln. Durch die erhöhte physische Belastung einer Schwangerschaft und Geburt sowie durch hormonelle Veränderungen werden die Verbindungen besonders beansprucht und/oder gelockert, was wiederum zu einem Umbau der Skelettsubstanz führt. Zum Beispiel entstehen durch kleine Knorpelabsprengungen Eintiefungen an den Ansatzstellen der Bänder. Jedoch sind nicht alle Veränderungen im Becken rein auf Schwangerschaften und Geburten zurückzuführen. Viele andere bio-mechanische Faktoren spielen ebenfalls eine Rolle, etwa Körperhöhe, Körpermasse und Beckendimensionen. Deswegen, und weil Geburten bei jeder Frau und jedem Kind anders verlaufen, sind Beckenmerkmale am archäologischen Skelettmaterial auch nicht einfach zu beurteilen.

Das medizinische Wissen war in der Urgeschichte begrenzt. Die heute eigentümlich anmutende volkstümliche Assoziation zwischen Gebärmutter/Fötus und Kröte ist hingegen spätestens seit der Bronzezeit belegt. Um 1200-1100 v. Chr. datiert eine Keramikfigur aus Maissau, Niederösterreich, deren Rückseite als Kröte, deren Vorderseite aber eindeutig als Frau zu erkennen ist. Die weiblichen Geschlechtsmerkmale sind besonders deutlich und naturalistisch geformt. Die „Frauenkröte", die vielleicht als Amulett oder Votivgabe in Zusammenhang mit Schwangerschaften und Geburten Verwendung fand, ist heute im Museum Horn zu besichtigen.

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Rückseite, Vorderseite und Detail der Frauenkröte aus Maissau © Fotos: Wolfgang Andraschek


Zu Mutterschaft in der Urgeschichte gibt es noch weitere wichtige Quellen: Bestattungen der Frauen, die vor oder während einer Geburt gestorben sind. Manche sind durch den noch im Beckenbereich befindlichen Fötus eindeutig als solche zu erfassen. Tod während Schwangerschaft und Geburt galt in vielen Gesellschaften als unzeitgemäßer, schlimmer Tod, für den spezielle Bestattungspraktiken vorgesehen waren. Nach derzeitigem Wissensstand starben etwa 10-15% aller Frauen im Laufe ihres Lebens an den Folgen von Schwangerschaft und Geburt. Doch nicht immer wurden Mutter und Fötus/Neugeborenes auch zusammen bestattet. Manche religiöse Riten, wie sie etwa in der Lex Regia des Numa Pompilius oder im Talmud, aber auch in mittelalterlichen Klosterregeln beschrieben werden, bedingen, dass keine schwangere Frau bestattet werden durfte, der nicht zuvor das Kind aus dem Leib geschnitten wurde. Die versuchte Rettung des Kindes aus dem Bauch der sterbenden Mutter dürfte eine der Wurzeln des Kaiserschnittes gewesen sein.

Nicht zuletzt hinterlässt die Stillbeziehung zwischen Mutter und Kind Spuren im Körper. Durch Nahrung und Trinkwasser werden in allen menschlichen Geweben Isotopen eingelagert. Stickstoff-Isotopen Verhältnisse im Knochenmaterial geben Auskunft über den Anteil an tierischem Protein in der Nahrung, und dazu zählt Muttermilch. Bei gestillten Kindern lässt sich ein gegenüber den Müttern erhöhtes Stickstoff-Isotopen Niveau im Knochen nachweisen. Über das Alter der gestillten Kinder lässt sich mitunter auf die Stilldauer einer Gesellschaft schließen.

Bestattungen von Müttern mit einem oder mehreren ihrer Kinder lassen Schlüsse auf das Alter, in dem Frauen Geburten erlebten, sowie auf Geschwisterabstände zu. Mit welchem Aufwand und mit welchen Grabbeigaben Frauen bestattet wurden, geben uns Einblicke über die soziale Stellung von Frauen. Eine detaillierte Altersdiagnose in Kombination mit Beobachtungen zu Geburtsmerkmalen lässt erkennen, wie der weibliche Lebenslauf durch die Gesellschaften, in denen sie lebten, bewertet wurde. Mutterschaft ist nicht nur ein natürlicher Prozess, sondern auch eine kulturelle Praktik. Daraus ergibt sich eine erhebliche Variabilität, die mit neuesten bio-archäologischen Methoden erforscht wird.

Ausarbeitung und Text: © Katharina Rebay-Salisbury, 17.1.2018


Mehr Infos Motherhood in prehistory >>

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Bildrechte (Foto / Werk): © 2018, Museum der Stadt Horn - Die Sammlung Höbarth, Wolfgang Andraschek


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