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Zur Vorgeschichte
Die Eröffnungsausstellung VAGINA 2.0 thematisierte vorrangig die kulturellen Begriffe und die subjektiven Bedeutungen der weiblichen Geschlechtsorgane. Die ausgestellten Beiträge in der virtuellen Galerie des VAGINAMUSEUM.at spannen einen inhaltlichen Bogen früher Darstellungen von Vulva-Symbolen unterschiedlicher Kulturen und Zeiten bis hin zum Leben und Arbeiten in sozialen medialen Online-Plattformen und Sex-positivem Feminismus im Cyberspace.

Die virtuelle Ausstellung GEBURT_to animate untersucht das "Innere" des funktionalen weiblichen Körpers als Nest und als Empfangs- und Austragungsort für neues Leben – als kulturellen Ort des Entstehens. Biologisch basierte Geschlechterkonstruktionen und deren Auswirkungen auf sozialer Ebene, Zeugungsbedingungen sowie natürliche und künstliche Geburten sind dabei von Interesse. Der biologische Entstehungsprozess des menschlichen Körpers wird aber auch als Metapher für künstlerische Entwicklungsprozesse und die Vielfalt ihrer Ergebnisse gesehen.

Das entsprechende formale Ausdrucksmittel für diese Ausstellung ist das bewegte Bild: die Animation - die Bewegung als „Beseelung" des Bildes. Das Aneinanderreihen von Einzelbildern schafft Neues. Die zeitliche Struktur der linearen Abfolgen von audio-visuellen Sequenzen ermöglicht den Blick auf inhaltliche Zusammenhänge und erweitert damit die Aussage eines vom Kontext losgelösten Einzelbildes/Klanges. Diese Anordnung entspricht auch dem linear verlaufenden Entstehungsprozess von Leben. Der Titel GEBURT_to animate verweist auf eine gemeinsame Bedeutung, beide Begriffe stehen für Leben geben.

Grundsätzliche Fragen rund um die Entstehung von Leben und seine Endlichkeit haben die Menschheit in Form unterschiedlicher Kulturen und Religionen seit jeher beschäftigt. Woher kommt das menschliche Wesen und wohin geht es? Mythische Erklärungen der Entstehung von Leben und die Hoffnung auf ein unendliches Leben nach dem Tod können als Versuche gesehen werden, Antworten auf existenzielle und zugleich auch verunsichernde Fragen des Seins zu geben. Ab wann ist die Frucht/der Embryo/Fötus ein Mensch? Gibt es eine Beseelung? Wenn ja, wann findet diese statt? [1] Unterschiedliche Annahmen, wonach das männliche Geschlecht zu einem früheren Zeitpunkt als das weibliche beseelt werde, verweisen auf androzentrische Ansätze, welche den Mann als die Norm und die Frau als Abweichung verstehen.

Der funktionale Körper / Technologische und gesellschaftliche Entwicklungen
Über einen langen Zeitraum führten Theorien über biologische Geschlechtervorstellungen und die damit verbundenen Zeugungsbedingungen immer wieder zu Diskussionen. Androzentrische Vorstellungen spiegelten sich beispielsweise im „Ein-Geschlecht-Modell" [2] [EIN-GESCHLECHT-MODELL] wider. Dieses Modell verneinte biologische Unterschiede, aber auf sozialer Ebene fanden dennoch radikale Ausdifferenzierungen der Geschlechter statt.
Diesem Modell stehen durchaus restaurative duale, aber auch vielschichtige, durchlässige und queere Konzepte gegenüber, wie z.B. die Auflösung von Geschlechternormen durch die Unterscheidung von sozialem (Gender) und biologischem Geschlecht (Sex), sowie postmoderne Diskurse rund um die soziale Geschlechterkonstruktion (Doing Gender). [3]

Bisher war die Frucht / der Embryo/Fötus grundlegend eher eine Sache der Natur, auch wenn diese durch Geburtenregelung kulturell gesteuert wurde. Künstliche Befruchtungen [IN-VITRO-FERTILISATION], bestehende menschliche Datenbanken, die Eizellenvorsorge [SOCIAL FREEZING] und die Leihmutterschaft nehmen immer mehr Einfluss auf den natürlichen Entstehungsprozess von neuem Leben. Natürliche Abläufe werden zunehmend durch medizintechnische Eingriffe ersetzt und Funktionen des weiblichen und männlichen Körpers werden zum Teil aus dem Körper ausgelagert.


Technischen Entwicklungen zufolge können in Zukunft Entstehungsprozesse von Leben gänzlich aus dem Körper ausgelagert werden. An der Entwicklung von künstlichen Gebärmüttern der Zukunft wird längst gearbeitet: „Die Technik trägt den Namen Ektogenese und steht für das Aufziehen eines Fötus außerhalb des menschlichen Körpers in einem künstlichen Mutterleib. Die Erzeugung der Kinder soll ohne Sexualität und ohne Eltern stattfinden." [4]
„Die sexuelle Reproduktion steht nun vor einer radikalen Revolution. Die neueste Technologie erlaubt es den Menschen bald, Kinder aus dem Genpool zweier Männer oder zweier Frauen zu erschaffen." [5] Um Gendefekte zu vermeiden, kann der Embryo/Fötus aus dem Genpool von mehreren Menschen gezeugt werden. Hybride Kreaturen, die einerseits die Denkleistung des Menschen und andererseits die physischen Fähigkeiten von Tieren in sich vereinen, könnten in Weiterführung an Fabelwesen geschaffen werden.

Ethische Grundsatzdiskussionen verbinden sich mit rechtlichen Grundsatzfragen in der Anwendung der Fortpflanzungsmedizin und gesetzliche Bestimmungen werden verabschiedet und/oder adaptiert. Medizinische Fortschritte, von der Antibabypille bis zur zeitlich planbaren künstlichen Befruchtung ermöglichen zunehmend mehr Handlungsspielraum für individuelle Formen der Lebensplanung und für die Gestaltung von unterschiedlichen Körperkonzepten, auch für gleichgeschlechtliche Paare.

Die hohe und ständig steigende Rate von Kaiserschnittentbindungen ohne medizinische Indikation zugunsten einer vermeintlichen Sicherheit für Mutter und Kind, kann auch als Beleg dafür gesehen werden, dass Entscheidungen für eine künstliche Geburt auch Teil einer Lifestyle Debatte und damit auch Alltagskultur geworden sind. Die britische Bioethikerin Anna Smajdor hat folgende Vision für die Zukunft: „Pregnancy is a condition that causes pain and suffering, and that affects only women. The fact that men do not have to go through pregnancy to have agenetically related child, where as women do, is a natural inequality. I suggest that there is a strong case for prioritizing research into ectogenesis as an alternative to pregnancy." [6]

Doch nun, von möglichen „zukünftigen" Szenarien wieder zurück in die Gegenwart: Der Verlauf der Geburt hat Auswirkungen auf Mutter und Kind sowie deren soziale Umgebung, egal ob diese durch einen operativen, womöglich fremdbestimmten traumatisierenden Eingriff passiert, oder auf natürlichem Weg durch den Geburtskanal erfolgt. Wie die klassische Psychoanalyse annimmt, stellt die natürliche Geburtssituation ein Neugeborenes-Ich vor eine Bewältigungsaufgabe: das Leben.

Kunst ist eine Form der Bewältigung des Lebens. Analog zu den Techniken der menschlichen Geburt sind künstlerische Schaffensprozesse ein kulturelles Gebären innerhalb einer kulturellen Dynamik. Natürliche und künstliche Prozesse der Entstehung von Leben und Sehnsüchte über die Gestaltung von „Entstehung" werden thematisiert. Diese reichen von der „Selbstgestaltung" des Lebens bis zur metaphorischen Vorstellung, wie diese auf das künstlerische/kulturelle Leben übertragen werden kann.

Während der menschliche Geburtsvorgang von realem Blut begleitet wird, fließt beim Gebären von Kunst „Herzblut" - eine „animation" der Gedanken.

Ausstellungskonzept, Kuration: © Doris Jauk-Hinz