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GESCHICHTE DER SEXUALITÄT

Vor- und Frühgeschichte
Erste Darstellungen von Sexualität sind als Höhenmalereien in verschiedenen Teilen der Welt zu besichtigen. Bekannt ist etwa die Wandmalerei in Ti-n-Lalan, Fezzan in Lybien, welche ein Paar beim Geschlechtsakt zeigt. [1] Andere Kunstwerke sind etwa die Vulven Zeichnungen aus La Ferrassie, welche nach Siegfried Vierzig (evangelischer Theologe) Fruchtbarkeit und Geburt symbolisieren sollen. [2]

Die neolithische Revolution, etwa um 10.000 v. Chr., brachte der Menschheit das Wissen um Ackerbau und Viehzucht. Mit der Sesshaftigkeit des Menschen ging zudem ein sozialer Wandel einher, vermuten Experten. Männer fingen an die körperlich schwächeren Frauen als Besitz zu betrachten und begannen deren Sexualität durch Tabus und Verbote zu kontrollieren. Es wird vermutet, es läge an der „verdeckten Befruchtung" der Frau. Der Mann könne im Nachhinein seinen eigenen genetischen Nachwuchs nicht mehr feststellen und es lohne sich nur die eigene Verwandtschaft zu pflegen und zu versorgen. [3] [4] [5]

Altertum und Antike
Die Gesellschaft der griechischen und römischen Hochkultur gilt oft als enthemmt und freizügig, so galt etwa die Homosexualität als natürliche Spielart der Sexualität. Die Aristokratie feierte oftmals zügellose Gelage und Orgien. [6] Auf zahlreichen Fresken, Vasen und anderen Kunstobjekten sind vielfältige Formen der Sexualität abgebildet, auch etwa Prostituierte beim Geschlechtsakt oder Götter bei sexuellen Handlungen mit Tieren. [7] [8] [9] In der Literatur sind einige Erotika überliefert, etwa die Liebesgeschichten von Ovid und Catull [10], oder die erotischen Gedichte der Sappho von Lesbos (bedeutendste Lyrikerin des klassischen Altertums). So wurde etwa der Begriff „lesbisch" durch Sappho geprägt, da ihre Lyrik Frauen galt. [11]

Diese sexuelle Freiheit existierte jedoch vor allem für die oberste Schicht der Gesellschaft, den weniger Privilegierten zeigte sich ein anderes Bild, so Althistoriker Robert Knapp. Zwar war Männern Sexualität in Form von Prostitution an jeder Straßenecke verfügbar, die Frauen hingegen wurden jung verheiratet, ihre Sexualität sollte primär der Reproduktion dienen. Zu den Pflichten der „minderwertigen" Ehefrau zählte die Haushaltsführung, Kinder zu gebären und ihrem Ehemann zu Diensten zu stehen. [6] [9]

Mittelalter
Unter dem Einfluss des Christentums in Europa wurde im Mittelalter Prostitution, Homosexualität und außerehelicher Geschlechtsverkehr verfolgt und bestraft. Der Begriff der Schamhaftigkeit entstand, Keuschheit und Verzicht als Tugend prägten die sexuellen Vorstellungen der Menschen im europäischen Mittelalter. Die Aufgabe der Sexualität war die Reproduktion, die Wollust oder Unkeuschheit wird im Christentum nach wie vor als Todsünde bezeichnet. [3] [12] [13] [14]

Die Frau galt im Mittelalter als lüsternes Wesen, welches ihre Triebe nicht kontrollieren konnte. Beim Geschlechtsverkehr wurde ihr somit der passive Part zugesprochen während der Mann den aktiven Part übernahm. Anders Handelnde wurden als abnorm angesehen, etwa wenn der Mann die Frau oral befriedigte. [12] [15]

Frühe Neuzeit
Mit der Renaissance (1420-1570) kam es zu einer Wiederentdeckung von antikem Wissen und einer Ära des wissenschaftlichen Neuanfangs. Die englische Reformation (1550) stellte mit der Spaltung der christlichen Kirche das Wahrheitsmonopol des Klerus (der ersten Stand innerhalb der Ständeordnung im Mittelalter, zu dem alle Geistlichen gehörten) infrage. Der Sexualität stand man allerdings nach wie vor kritisch gegenüber. [3]

Faramerz Dabhoiwala (Autor von „Lust und Freiheit. Die Geschichte der ersten sexuellen Revolution", 2014) postuliert eine erste sexuelle Revolution, die mit dem Zeitalter der Aufklärung (1650-1800) in England begann. Erstmals kam die Idee auf, dass der Mensch über seinen Körper selbst bestimmen dürfte, Sexualität wurde zur Privatsache erklärt. Diese Entwicklung wurde unter anderem durch das starke Wachstum der Großstädte ermöglicht, den Menschen eröffneten sich unter dem Schutz der Anonymität neue Freiheiten. London etwa wuchs in diesem Zeitalter von 40.000 Einwohnern zu einer Größe von 1 Million Einwohner heran. [16] [17]

Das Aufkommen neuer Medien, vor allem den Tageszeitungen, veränderte nachhaltig die Gesellschaft. Auch Frauen kamen nun zu Wort, stürzten das damals vorherrschende Klischee der lüsternen Frau, und schrieben es dem Mann zu. Dieser Paradigmenwechsel führte zudem zu einer Lockerung des Umgangs mit Prostitution, da der käufliche Geschlechtsverkehr als Ventil für die unbändigen Gelüste der Männer gesehen wurde. [16] [17]

Geprägt durch das neue Leben in den Großstädten entstanden Untergrundbewegungen, die nicht der heteronormativen Sexualvorstellung entsprachen. Im Geheimen fanden erste Zusammenkünfte homosexueller Menschen statt, welche die Vorläufer der LGBT- Kultur bildeten. (Das Akronym LGBT steht für Lesbian Gay Bisexual Transgender [HOMOSEXUALITÄT]) [16] [17]

19.Jahrhundert
Die Rolle der Frau im Bürgertum wurde auf medizinischer wie philosophischer Ebene neu diskutiert. Von der Ehefrau wurde die absolute Treue gefordert, und sämtliche sexuelle Triebe abgesprochen. Als Ersatz durfte sie sich der Liebe zur Familie, ihrem Ehemann und Kindern zuwenden. [18]

Dr. Richard Freiherr von Krafft-Ebing, der als bedeutender Forscher und Meinungsbildner seiner Zeit galt, schrieb über die sexuellen Triebe der Frau: [19]
"Ist es [das Weib] geistig normal entwickelt und wohlerzogen, so ist sein sinnliches Verlangen ein geringes. Wäre dem nicht so, so müsste die ganze Welt ein Bordell und Ehe und Familie undenkbar sein. Jedenfalls sind der Mann, welcher das Weib flieht, und das Weib, welches dem Geschlechtsgenuss nachgeht, abnorme Erscheinungen."
(Dr. R. Freiherr von Krafft-Ebing „Psychopathia Sexualis", 1880) [20]

Die neue Bewertung der Sexualität traf auch die Homosexualität und Masturbation. Während die Homosexualität nun als Krankheit gewertet wurde, wurde die Masturbation [MASTURBATION] hingegen als gesundheitsschädlich dargestellt. [19] Sexualratgeber wie „The Young Man's Guide" (William Andrus Alcott, 1833) und „Lecture to Young Men on Chastity" (Sylvester Graham, 1834) sollten vor allem junge Männer vor den vermeintlichen krankhaften Folgen der Masturbation und Homosexualität warnen. Entgegengesetzt dazu entstand in Frankreich, England und Nordamerika pornographische Literatur. [3] [21] [22]

20. Jahrhundert
Im 20. Jahrhundert entwickelte Sigmund Freud (Wiener Begründer der Psychoanalyse, 1856-1939) seine Theorien zum Sexualtrieb des Menschen. Er sah den Menschen als ein sexuell bestimmtes Wesen [PANSEXUALITÄT], und erforschte die psychischen Auswirkungen der Libido. [3] [23]

Zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg wurden Frauen vermehrt als Arbeiterinnen in der Industrie gefordert und erlangten so materielle Unabhängigkeit. Die Frauenrechtsbewegung forderte die Gleichberechtigung der Geschlechter, die sexuelle Revolution (1968) kam ins Rollen. Wichtige Schritte dazu war die Erfindung der Pille als effizientes und zugängliches Verhütungsmittel sowie die Forschungsarbeiten von Kinsey [HETEROSEXUALITÄT] und Masters & Johnson [KLITORIS]. Die Jahre der „freien Liebe" und Hippiebewegung, in der auf Woodstock (1969) und in Kommunen enthemmte Sexualität gefeiert wurde, erlebte eine Eindämmung mit dem Aufkommen von HIV/AIDS Anfang der 80er Jahre. [3] [22] [24] [25] [HIV / AIDS]

21. Jahrhundert
Nach dem emotionsgeladenen Auf & Ab der Sexualität der letzten Jahrhunderte scheint eine Ernüchterung eingetreten zu sein. Sexualität wird mehr und mehr als „normal" betrachtet, jedoch durch die Pornokultur verzerrt dargestellt. [PORNOGRAPHIE] Zudem wirkt Sexualität nicht zuletzt durch Werbung und Medien a la „Sex Sells" allgegenwärtig. [22] [26] [SEXISMUS IN WERBUNG]

Die Frau in der westlichen Welt hat gegenwärtig das Recht, ihre Sexualität frei auszuleben. Dennoch wird ihr Verhalten oft noch genderspezifischen Vorurteilen und Tabus unterworfen. Mythen um das „Jungfernhäutchen" [HYMEN], Ejakulation [WEIBLICHE EJAKULATION] und den Orgasmus der Frau [ORGASMUS] geistern nach wie vor durch Medien, öffentliche Diskussion und Gesellschaft. Ein selbstbestimmtes Ausleben der sexuellen Freiheit scheint eher erschwert als ermöglicht zu werden, und lässt offen, ob Frauen sich von den Vorstellungen, Tabus und Sexualmoral der letzten Jahrtausende jemals wirklich befreit haben.